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Abassia Rahmani im Interview

Abassia Rahmani ist eine Profisportlerin und studiert nebenbei. Wenn sie nicht im Kraftraum oder auf der Laufbahn ist, verbringt sie oft Zeit mit ihren Freunden, liest, und geht an Konzerte.

Nahaufnahme einer Sprinterin. | © unsplash

Sprint ist Abassia Rahmanis Leidenschaft. (unsplash)

Die Zürcherin, deren Vater aus Algerien stammt, liess sich auch durch ihre Behinderung nicht die positive Lebenseinstellung nehmen. Im Alter von 16 Jahren mussten ihr als Folge einer bakteriellen Blutvergiftung beide Unterschenkel amputiert werden. Fünf Jahre später begann die Athletin mit dem Behindertensport und durfte 2016 mit der Bronzemedaille an der Leichtathletik-EM in Grosseto ein erstes und mit dem vierten Rang im 200 m-Final an den Paralympics ihr zweites grosses Highlight in ihrer noch jungen Karriere feiern. An der Europameisterschaft in Berlin 2018 wurde sie über 200 m Europameisterin.

Neben dem Sport arbeitete die gelernte kaufmännische Angestellte in einem 70%-Pensum im internationalen Vertriebsinnendienst und spricht neben Deutsch auch Französisch und Englisch. Seit dem hat sie ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und ist nun selbstständige Berufssportlerin. Wenn man sie nicht auf der Tartanbahn oder im Kraftraum findet, verbringt sie ihre Zeit gerne mit Freunden, sie mag Musik und Konzerte, Action Sportarten, gute Bücher und reist fürs Leben gern.

Abassia, wie sieht dein Alltag aus?

Bisher habe ich jeweils von Montag bis Freitag von 8 bis 15 Uhr im Büro gearbeitet und habe anschliessend täglich ca. zwei Stunden trainiert, jeweils abwechselnd im Kraftraum und auf der Tartanbahn. Seit August bin ich nun aber in den Berufssport eingestiegen, was zu Beginn vor allem mit einem hohen Mass an administrativer Arbeit verbunden ist. Somit konnte ich mich optimal auf die Europameisterschaft vorbereiten und geniesse jetzt einige Wochen Erholung, bevor ich dann die Berufsmaturität neben dem Sport nachhole.

Wie wichtig ist dir der Sport?

Der Sport ist mir extrem wichtig, er ist mittlerweile zu meinem Lebensmittelpunkt geworden und bereitet mir immer wieder grosse Freude und viele unvergessliche Erlebnisse und Begegnungen. Mit dem Sport hat sich vieles in meinem Leben verändert. Ich sehe, welche Stärke in mir und meinem Körper liegt und habe gemerkt, dass ich mit meinen Entscheidungen die Kontrolle über mich und meinen Lebensweg habe.

Wieviel Zeit investierst du in den Sport und wie oft trainierst du?

Ich habe bisher sechsmal in der Woche à ca. zwei Stunden trainiert, mal etwas mehr, mal etwas weniger. Mit dem früheren Hin und Her fahren und zusätzlichen Regenerationsmassnahmen waren es aber weit über 20h pro Woche, welche ich in den Sport investiert habe, als ich noch 70% gearbeitet habe. In Zukunft wird sich das Trainings- aber auch das Erholungspensum erhöhen, in dem ich zweimal täglich trainiere, regelmässiger in die Physiotherapie und in die Massage gehe, denn eine gut erholte Muskulatur ist mindestens genauso wichtig wie eine gut trainierte.

Was war bisher dein grösster Erfolg?

Mein grösster sportlicher Erfolg war wohl der 4. Platz mit persönlicher Bestleistung an den Paralympics in Rio. Mein persönliches Highlight war allerdings anfangs August dieses Jahres, als ich an einem nationalen Leichtathletik-Meeting zum ersten Mal ein Rennen gegen «Zweibeiner» gewonnen habe.  

Wie erholst du dich von einem Wettkampf?

Mit möglichst viel Schlaf, Physiotherapie, Massage und gutem Essen.

Hast du Vorbilder?

Ich habe kein Vorbild im eigentlichen Sinne. Aber ich lasse mich immer wieder gerne durch Charakterzüge oder Taten von Personen, welche mir auf meinem Weg begegnen, inspirieren.

Was motiviert dich?

Ich habe das Glück, schon immer etwas stur gewesen zu sein. Was meine Mutter früher wohl eher genervt hat, kommt mir heute zugute. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, ziehe ich es durch, auch wenn es nicht auf Anhieb klappt. Wenn ich dann aber sehe, dass mein Vorhaben Früchte trägt, motiviert mich das dann umso mehr. Ich habe auch das Glück, ein tolles Umfeld zu haben, welches mich immer weiter pusht und motiviert.

Wie unterstützt dich deine Familie?

Meine Familie unterstützt mich insofern, als sie mich wissen lassen, dass sie da sind, wenn etwas wäre. Ich kann mich zu 100% auf sie verlassen und dieses Wissen gibt mir Kraft. Ich war aber schon früh sehr selbstständig, deswegen habe ich meinen eigenen Haushalt (im dritten Stock ohne Lift) und geniesse es unabhängig zu sein.

Wie nervös bist du vor einem Wettkampf und wie bekämpfst du deine Nervosität?

Ich bin vor jedem Wettkampf nervös, aber zu Beginn der Saison bin ich jeweils nervöser als zum Ende hin, weil die Routine auch etwas die Nervosität nimmt. Einige Stunden vor dem Wettkampf visualisiere ich jeweils jede Situation, vom Einwärmen bis zu den verschiedenen Phasen des Sprints, dies gibt mir etwas Ruhe und Sicherheit.

Mit welcher Sportlerin bzw. mit welchem Sportler würdest du gerne einmal trainieren?

Vermutlich mit Roger Federer, aber lieber Sprint als Tennis. ;-) Er ist ein grossartiger Sportler und ein sehr bodenständiger, sympathischer Mensch.

Was sind deine nächsten Ziele und welche Ziele hast du in Zukunft?

Mein nächstes Ziel ist ein gutes Winteraufbautraining, damit ich an der WM im November 2019 in Dubai wieder Edelmetall holen kann. Langfristig möchte Medaillen an den nächsten Paralympics 2020 in Tokyo sowie 2024 in Paris. Beruflich möchte ich Sportmanagement studieren, damit ich möglichst lange mit dieser faszinierenden Sportwelt verbunden sein kann.

Wie stehst du zu den Zeichen, die deine Krankheit hinterlassen hat?

Sie gehören zu mir, wie alles andere auch. Ich schenke ihnen nicht mehr, und nicht weniger Beachtung. Manchmal vergesse ich sie deshalb sogar. Dies war nicht immer so, in den ersten zwei, drei Jahren war ich noch recht unsicher im Umgang mit mir und anderen Menschen, aber man soll ja bekanntlich akzeptieren, was man nicht ändern kann und ändern, was man nicht akzeptieren kann. Und dann kam da der Sport – welcher mich dann endgültig wieder mit meinem Körper versöhnt hat.

Stimmt es, dass du zwei Paar Beine zum Wechseln besitzt?

Genau, ich besitze mehrere Beine. Dies war aber nicht immer so, da die IV die Bezahlung von Sportprothesen strikte ablehnt, weil sie diese als Sportgeräte ansieht und als nicht notwendig definiert. Daher war der Finanzierungsweg am Anfang sehr hart und steinig, aber mittlerweile habe ich mich etablieren können und habe das Glück, mit tollen Sponsoren, und mit PluSport Behindertensport Schweiz, auch mit einem tollen Verband zusammenzuarbeiten.

Alltagsprothese gegen Rennblades – was ist der Unterschied?

Mit den Alltagsprothesen auf den Bus rennen geht zwar, aber es fühlt sich recht holprig und eher mühsam an, es braucht viel Energie und ist nicht besonders gelenkschonend. Mit den Rennblades fühlt es sich an wie auf Wolken, absolut vergleichbar zu echten Beinen. Im Alltag wären Rennblades aber eher unpraktisch, da ich nicht an Ort und Stelle stehen kann, ohne mich zu bewegen, da ich sonst umkippen würde; auch auf Treppen müsste ich immer seitwärts laufen, wie mit Inlineskates.

Ich habe folgende Aussage von dir gelesen: «Ich spüre den Wind im Gesicht und die Geschwindigkeit, das ist für mich pure Freiheit.» Erzählst du uns was darüber?

Ich mag Adrenalin, das gibt mir das Gefühl unendlich viel Power zu haben – da merke ich kaum noch, ob das jetzt meine echten Beine oder solche aus Carbon sind.

Wir danken Abassia für das Interview und wünschen ihr weiterhin viel Inspiration, Ausdauer und Entschlossenheit.


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