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Die Arbeitspartnerschaft als Arbeitsmodell

Wie können Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten? Seit mehreren Jahren erproben die Autoren dies tagtäglich und blicken auf unterschiedliche Erfahrungen zurück. Die folgenden Ausführungen sind unter dem Blickwinkel des explorativen Ansatzes zu betrachten und basieren noch nicht auf einer wissenschaftlichen Fundierung.

Zwei Arbeitskollegen sitzen an einem Tisch zusammen. | © pixabay

Ist die Arbeitspartnerschaft das Modell der Zukunft? (pixabay)

Basierend auf den eigenen Erfahrungen der Zusammenarbeit in einer Arbeitspartnerschaft von Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung erfolgt eine Reflexion der Chancen und Herausforderungen hinsichtlich der Inklusion. Nebst der Nutzung der sogenannten komparativen Kompetenzen lässt sich letztendlich die Frage stellen: Wie diskriminierungsfrei kann unsere Gesellschaft überhaupt werden? In der Praxis stellen die Autoren dieses Erfahrungsberichtes eine Art Co-Diskriminierung fest. Dennoch ist der Nutzen des Modells der Arbeitspartnerschaft unbestritten wie auch zielführend und verdient das Prädikat «gelebte Inklusion». Gefragt und gefordert ist nach wie vor ein Wertewandel.

Was versteht man unter einer Arbeitspartnerschaft?

Die Anerkennung der Gleichwertigkeit und die Gewährleistung der Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen generiert in sich noch keinen Mehrwert. Findet sich im nutzenorientierten Miteinander des Diversity Managements dazu ein gangbarer Ansatz? Ein mögliches Modell der nutzenorientierten Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung stellt die sogenannte Arbeitspartnerschaft dar. Im Gegensatz zum Team, das nach traditionellem Verständnis Know-how und Rollenstärken der Teammitglieder nutzt, erschliesst die Arbeitspartnerschaft durch die gezielte Berücksichtigung von beispielsweise Alter, Behinderung, sexueller oder kultureller Zugehörigkeit zusätzlich jene spezifischen Abilities, die ein Mitglied der Arbeitspartnerschaft entwickelt hat, eben gerade weil es beispielsweise eine Behinderung hat oder bereits etwas älter ist. Der zusätzliche Wertschöpfungsbeitrag von Arbeitspartnerschaften entsteht also dadurch, dass bewusst und gezielt jene Befähigungen (komparative Kompetenzen) zugänglich gemacht und genutzt werden, die an das jeweilige dominante soziale Datum, beispielsweise die Behinderung, gekoppelt sind.

Das Arbeitspartnerschaftsmodell erweitert – unter der für das Diversity Management typischen Berücksichtigung der Vielfalt sozialer Daten – den Rahmen herkömmlicher Teammodelle, welche sich auf Fachkompetenzen und Rollenzuschreibungen beziehen, um eine weitere Befähigung (Ability), nämlich um die komparative Kompetenz. Organisationseinheiten nach Diversity Management differenzieren das Know-how nicht nur in die herkömmliche Fach-, Führungs- und Sozialkompetenz, sondern erweitern diese drei Musskompetenzen um die komparative Kompetenz.

Seit mehreren Jahren erproben die Autoren dieses tagtäglich und blicken auf unterschiedliche Erfahrungen zurück. Die folgenden Ausführungen sind unter dem Blickwinkel des explorativen Ansatzes zu betrachten und basieren noch nicht auf einer wissenschaftlichen Fundierung.

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Ein Mann hält den Daumen hoch. | © pexels

Praxiserfahrung

Durch unsere konkrete Praxiserfahrung kristallisierten sich folgende zentralen Chancen und Risiken heraus.

  • 1

    Mit der Andersartigkeit umgehen zu können und entsprechend die verschiedenen Fähigkeiten nutzen zu wollen, bedingt von allen in einem Arbeitspartnerschaftsmodell involvierten Akteuren eine laufende Auseinandersetzung mit dem eigenen Fähigkeitsportfolio. Die eigenen Stärken und Schwächen werden entsprechend reflektiert und es gehört zum Berufsalltag, partnerschaftlich orientiert zu denken, wenn es darum geht, Aufgaben und Arbeitsschritte dergestalt zu verteilen, zu koordinieren und im Verbund anzugehen, dass nebst den Musskompetenzen die spezifischen Abilities der Arbeitspartner ohne und der Arbeitspartner mit Behinderung voll zum Tragen kommen und eine zusätzliche Qualität zum Erfolg beisteuert.

  • 2

    Eine konsequente Verinnerlichung einer ressourcenorientierten Grundhaltung ist Voraussetzung. Dabei werden Schwächen nicht negiert, sondern transparent benannt, um alsdann entsprechend zu schauen, mit welcher Stärke der anderen Person in der Arbeitspartnerschaft eine optimale Kombination möglich ist.

  • 3

    Durch die bewusste Reflexion der eigenen Stärken, der einzelnen Arbeitsschritte sowie des Kontextes in den diese eingebunden sind, kann eine differenzierte Art und Weise der Zusammenarbeit entstehen. Zum Beispiel soll ein Ausbildungskonzept geschrieben werden. Für eine erste Diskussion arbeiten beide Personen zusammen. Anschliessend schreibt die motorisch geschicktere Person einen Grobentwurf. Da die Person mit einer Behinderung blind ist und basierend auf dieser Erfahrung Stimmen hinsichtlich ihrer emotionalen Färbung besser lesen kann, übernimmt diese Person das Vorstellen des Konzeptes bei potentiellen Kunden. Ziel der differenzierten Arbeitsteilung ist letztlich, die grösstmögliche Effizienz wie aber insbesondere auch die höchste Effektivität zu erreichen. Durch die geübte Zusammenarbeit und den laufenden Austausch, kann die Qualität der Arbeit drastisch erhöht werden.

  • 4

    In der Businesswelt findet eine Kontrastierung und Konfrontation einer «Hochglanzwelt» mit der Welt des «Behindert-Seins» statt. Wird eine heterogene Arbeitspartnerschaft in die Arbeitswelt portiert, so lassen sich im Austausch mit externen Arbeitspartnern spannende und richtungsweisende Erfahrungen gewinnen. Wer wird angesprochen – die Person mit oder ohne Behinderung, wer von beiden wird wann kontaktiert, spielen Hierarchiefragen mit – oder werden gar Hierarchien übergangen, nur damit man mit der nicht-behinderten Person reden kann? Solche und weitere Fragen bieten sich andersartigen Arbeitsteams täglich als ethnographisches Gratismaterial an. Durch diese Möglichkeit der teilnehmenden Beobachtung können soziologische und psychologische altbekannte Mechanismen in der Gesellschaft wahrgenommen, aufgedeckt, verstanden und entsprechend genutzt werden. Im konkreten Beispiel: Die Person mit Behinderung ist zwar hierarchisch höher gestellt – wird aber laufend übergangen. Bei genauer Beobachtung können «Spiele» aufgedeckt und verstanden werden. Durch die «Andersartigkeit» des Kommunikationsmaterials, bieten sich Interaktionsmuster und Prozesse geradezu an, auf einer Metaebene reflektiert zu werden. Dies stösst wichtige Entwicklungs- und Veränderungsprozesse auf der individuellen wie auch auf der organisationalen Ebene an.

  • 5

    Spannenderweise lässt sich auf einen von den Autoren als Co-Diskriminierung bezeichneter Effekt beobachten. Im Beispiel: Dort wo der Bekanntheitsgrad des Professors mit Behinderung vorhanden ist, wird die wissenschaftliche Arbeitspartnerin ohne Behinderung oft als Spitex bis gar «Schubse oder Tippse» abgewertet. Ist dagegen der Bekanntheitsgrad des Universitätsprofessors mit Behinderung marginal, so verkehrt sich der Abwertungseffekt. Der Universitätsprofessor wird zum bemitleidenswerten Behinderten. Daraus lässt sich schliessen, dass auch hier ein stereotypes Bild seine Wirkung tut: Menschen mit einer Behinderung bedürfen der Hilfe. Und Menschen mit keiner Behinderung sind ausschliesslich in Kombination mit solchen zu treffen, wenn es darum geht, in einer Pflegerolle, Assistenzrolle oder Betreuungsrolle zu fungieren. Die Bandbreite der Reaktionen polarisiert in ungebrochene Bewunderung «… dass Sie die Kraft haben! Ich könnte das nie» und in verständnislosem Kopfschütteln «mit der stimmt wohl was nicht». Unzählige Male schon wurde die nicht-behinderte Arbeitspartnerin gefragt, ob sie an einem sogenannten Helfersyndrom leide. Bei Auftritten wird sie auffallend häufig von den Veranstaltern übergangen, während ihr behinderter Arbeitspartner promotet wird. Es stellt sich die Frage, wie diskriminierungsfrei unsere Gesellschaft überhaupt werden kann, sollte der erforderliche Wertewandel nicht doch noch stattfinden.

Es lässt sich festhalten, dass der Erfolg in einem arbeitspartnerschaftlichen Modell durchaus gegeben ist und für beide Seiten fachlich wie persönlich zielführende Entwicklungen zulässt, ja gar fördert. Das vorgestellte Modell basiert auf dem Ansatz gelebter Inklusion, welcher sich aktuell weder mit Zahlen noch mit anderen Methoden quantitativ oder qualitativ differenziert erfassen lässt. Das Hauptproblem liegt darin, dass weitere arbeitspartnerschaftlich organisierte und ausgestaltete Teams gezielt heterogener Zusammensetzung im deutschsprachigen Raum bisher kaum in die Arbeitsorganisationen implementiert sind. Durch die bereits eingesetzte demographische Altersverschiebung sowie durch die Risikozunahme im gesellschaftlichen und beruflichen Alltag darf als gesichert davon ausgegangen werden, dass der Bedarf an solchen Arbeitsorganisationen zunimmt, welche im Miteinander die Abilities von Arbeitskräften sowohl ohne als auch mit Behinderung gemeinsam, gleichwertig und gezielt verwertet.

Es lässt sich aber auch nicht negieren, dass viel mehr im wahrsten Sinne der Inklusion gefördert werden könnte. Eine Arbeitspartnerschaft in sich wirkt in der Summe positiv auf die Arbeitszufriedenheit, die Arbeitsqualität, die Effektivität (etwas mindernd auf die Effizienz) und die Arbeitsmotivation. Allerdings sind auch hier die gesellschaftlichen Zuschreibungen der grosse Stolperstein. Weiter wird die Persönlichkeitsentwicklung sowie der Wertewandel hin zur Gleichwertigkeit gefördert. Tagtäglich der Diskriminierung bzw. der wechselweise Co-Diskriminierung ausgesetzt zu sein, bereitet nicht nur Freude – jedoch aber Ansporn weiterhin für jene gelebte Inklusion Einsatz zu leisten, welche dieses Prädikat auch verdient. Das vorgestellte Modell der Arbeitspartnerschaft ist eines der Diversity-Konzepte der Zusammenarbeit, das dieses Prädikat verdient.

Autoren: Dr. Regula Dietsche, Leiterin Diversity & Inclusion und Prof. Dr. Nils Jent, Center for Disability and Integration, Universität St.Gallen


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