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Essstörung: ein Erfahrungsbericht von Tamara

Meine Geschichte hat mich zu dem gemacht, wer ich heute bin – und darauf bin ich stolz. Ich heisse Tamara, bin 36 Jahre jung und litt 20 Jahre an Essstörungen. Jahrelang war die Magersucht meine beste Freundin – sie war ein Teil von mir.

Ein mit den Händen geformtes Herz. | © unsplash

Innerhalb von einigen Monaten fiel Tamaras Gewicht auf 33 Kilogramm. (unsplash)

Heute bin ich geheilt und kann das Essen wieder mit Genuss verzehren. Die Sucht wird ganz klar immer ein Teil von mir bleiben, aber ich habe gelernt damit bewusst umzugehen und Frieden mit meinem Körper zu schliessen.

Ich habe lange Zeit gebraucht, um zu lernen, dass es unendlich viele Zeichen gab, dass die psychischen Probleme und Sehnsüchte tief in meiner Seele sassen und nicht im Aussen zu stillen waren. Es war ein harter, einsamer und schmerzlicher Weg. Heute bin ich dankbar dafür, denn ich sehe den Weg für mich als ein Geschenk, dass ich die Chance erhalten habe, hinzuschauen und daran zu wachsen.

Ich habe die Chance genutzt, aus meinem Mangel zurück in die reine Liebe zu finden, um jetzt mein volles Potenzial ausschöpfen zu können. Jeder Mensch kann in schwierige Situationen geraten. Die Option, zu versuchen sich selbst zu schützen, besteht immer; zu versuchen liebevoll auf sich zu achten, das Leben nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen auszurichten und nicht nach den Ansprüchen des Umfeldes und der Gesellschaft. 
 
Meine Motivation ist, den Menschen aufzuzeigen, wie auch sie aus dem Schmerz in ihrem Leben rauskommen können. Da spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Essstörung, Depression, Alkoholsucht, Drogensucht, Sexsucht, Shoppingsucht und so weiter handelt, das Grundprinzip ist immer der Mangel an Liebe, welches das Selbstwertgefühl negativ prägt. Solange wir nicht beginnen uns selbst zu lieben, können wir auch nicht unsere Mitmenschen lieben.  

Auslöser meiner Essstörung

Die Ursache begann als Teenager, als ich 15 Jahre alt war. Das Thema Magersucht tauchte damals zum ersten Mal bei mir auf. Davor hatte ich ein gesundes Verhältnis zum Essen und meinem Körper. Ich ass sehr ausgewogen und erlaubte mir auch süsse und fettige Speisen.

An einem Campingausflug mit Freundinnen hatte ich ganz viele Kekse dabei und als ich sie teilen wollte, hatten alle darauf geantwortet: «Nein danke, von denen werde ich nur dick.» Von diesem Moment an fing bei mir die Kontrolle, über mein Essverhalten und meinen Körper an. Es folgten mehrmals tägliche Gewichtskontrollen auf der Waage und ich umging das Essen überall, wo ich nur konnte. Ein typischer Standardspruch war: «Ich habe schon gegessen.»

Am Schluss ass ich nur noch einen Apfel pro Tag. Innerhalb von einigen Monaten fiel mein Gewicht auf 33 Kilogramm runter. Am Anfang war ich sehr stolz darauf zu sehen, dass ich immer dünner wurde, aber ich bemerkte auch, dass ich körperlich nicht mehr sehr viel leisten konnte. Ich war oft gereizt und emotional labil und zog mich auch immer mehr zurück.

Die Sucht war meine beste und einzige Freundin in meinem Leben. Ich lebte komplett in einer anderen Welt. Ich war nur noch mit mir und meinem Körper beschäftigt. Wie ein Drogensüchtiger, der nach dem nächsten Schuss auf der Lauer ist, war ich mit der Frage beschäftigt, wie kann ich noch mehr an Gewicht verlieren. Meine Mitmenschen, Freunde und Eltern hatten nie ein Wort darüber verloren. Einmal hat mir eine Freundin gesagt, du bist aber schon arg dünn.

Eines Tages als es schneite und kalt war, und ich körperlich an meine Grenzen gekommen bin, suchte ich eine Telefonkabine auf und setzte mich mit einer Ersthilfe-Anlaufstelle in Verbindung. Ich hatte erzählt, dass ich eine Freundin hätte, welche nur noch 33 Kilogramm wiegt und die Nahrungsaufnahme verweigert. Folgende zwei Fragen habe ich dann gestellt:

  • «Wie nennt man diese «Krankheit», die meine Freundin hat?»
  • «Was passiert, wenn sie so weitermacht?» 

Da ich zu dieser Zeit nicht wusste, was Magersucht ist und bedeutet, hörte ich der Frau am Telefon ganz neugierig zu. Als sie mir aber auf die zweite Frage mit dem Wort Tod geantwortet hatte, ist mit mir innerlich etwas passiert.

Ab diesem Moment folgten wochenlange Recherchen in verschiedensten Bibliotheken über dieses Thema. Ich habe dutzende Bücher darüber verschlungen und wusste zum ersten Mal, was mit mir und meinem Körper passierte. Das Wort TOD hat mich so schockiert und aufgerüttelt, dass ich danach angefangen habe zu «Fressen».

Ich habe Kiloweise an Kuchen, Kekse und fettiges Essen in mich hineingestopft. Ich konnte einfach nicht mehr damit aufhören. Zum ersten Mal merkte ich, wie verhungert mein Körper war. Innerhalb von ein paar Wochen, nahm ich über 33 Kilogramm zu. Ich fühlte mich richtig schlecht und konnte mich nicht mehr im Spiegel betrachten. (Anmerkung der Redaktion: Mehr zum Thema Binge Eating finden Sie hier)

Darauf folgten etliche Jahre, wo ich die Balance zwischen «nichts Essen und viel Essen» nicht unter Kontrolle hatte. Ein jahrelanges Auf und Ab. Ein jahrelanges Wegrennen – von mir und meiner Seele; jahrelange Manifestierung dieser unsinnigen selbstzerstörerischen Gedanken und Selbsthass.

Irgendwann kam dann noch die Zucker- und Orthorexie-Sucht hinzu. Ich lief also in dem Hamsterrad einfach weiter und bemerkte nicht, dass dies lediglich Strategien meiner Seele waren, die mein Überleben gesichert haben. Ich war noch nicht bereit, die Verantwortung für meine schwachen Gefühle zu tragen, um zu verstehen, was die Ursache war und nach welcher Sehnsucht ich verzweifelt nachhing. Im Gegenteil, ich suchte im Aussen. Typische Sätze von mir waren: «Du hast mich verletzt, wegen dir bin ich traurig.» oder «Du gehst mir auf den Zeiger, lass mich in Ruhe.»  

Tamara litt jahrelang an verschiedenen Essstörungen. Heute ist sie geheilt und hilft anderen Betroffenen. | © pixabay Tamara litt jahrelang an verschiedenen Essstörungen. Heute ist sie geheilt und hilft anderen Betroffenen. (pixabay)

Was musste passieren, damit ich die Ursache verstehe?

Über all diese Jahre funktionierte mein Körper und Immunsystem nicht mehr, wie ein gesunder Körper funktionieren sollte. Mein Körper hatte die Notbremse gezogen. Daraus resultierten etliche Arzt- und Spitalbesuche. Mit folgenden gesundheitlichen Themen musste ich mich befassen, da ich keine Chance mehr hatte, wegzulaufen: 

  • Chronische Fettleber
  • erhöhte Nierenwerte
  • hoher Vitaminmangel
  • Blutarmut
  • Sodbrennen
  • Entzündung der Speiseröhre
  • Magengeschwür
  • Depression
  • Konzentrationsschwierigkeit
  • Lustlosigkeit
  • Abnahme der Geschlechtshormone
  • trockene Haut und Haare
  • Herzrhythmusstörung
  • extrem tiefer Blutdruck
  • Verstopfungen
  • ständige Infektionen

Ich musste lernen, dass meine Seele mir ständig was sagen wollte. Sie war mit dem Leben, wie ich es geführt hatte, nicht glücklich. Mein Verstand versuchte diese Gefühle immer wieder zu umgehen, indem ich so weitergemacht habe, wie bis anhin. Mein Körper hatte mir immer wieder auf verschiedenste Arten aufgezeigt, dass ich so nicht weitermachen konnte.

Es kam der Tag, an dem alle elementaren Bausteine – wie Freunde, Partner und Beruf – wie ein Kartenhaus zusammenbrachen. Nichts funktionierte mehr, aber wirklich nichts. Danach war ich so tief unten, dass ich gar nicht weiter nach unten fallen konnte. Sooo tief war ich in meinem Schmerz. Es war ein weiterer Lebensabschnitt voller Einsamkeit und Leid. Ich konnte so nicht mehr weitermachen und ich wollte auch nicht mehr so weitermachen.  

Danach folgten einige harte Jahre Reflektions-Arbeit, die sehr viel Tiefgang in sich hatten. Ich habe mich dadurch selbst therapiert, indem ich alles anfing zu hinterfragen, analysieren und reflektieren. Ich musste mich kennenlernen, um zu verstehen wer ich bin und was meine Bedürfnisse waren. Ich musste lernen, die Kontrolle loszulassen, ich musste lernen zu vertrauen, ich musste lernen mich zu akzeptieren, ich musste lernen mich zu lieben, ich musste lernen mich abzugrenzen, ich musste lernen für mich einzustehen, ich musste lernen zu verzeihen. Ich musste lernen, meine Ängste und Gefühle anzunehmen. Ich musste lernen, nicht mehr im Aussen zu suchen, sondern Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen.

All die Jahre, war ich nie in einer Klinik oder in Behandlung. Den Weg durch die Hölle hatte ich ganz alleine bestritten. Ich habe viel gelesen, an vielen Referaten, Ausbildungen und Workshops teilgenommen. Die meisten aber auf digitalem Weg, da ich ja den Kontakt zur Aussenwelt gemieden habe.

Ich habe mich mit Themen wie Neurologie, Psychologie, Psychotherapie, Energiearbeit, Sexualität, Mentalarbeit, Resilienz, Prägungen, Glaubenssätze, Naturheilkundemedizin und noch vielem mehr beschäftigt. Durch meine Fettleber habe ich mir im Bereich natürliche Ernährung Wissen angeeignet. Wichtig dabei ist möglichst unverarbeitete Lebensmittel, die reich an Antioxidantien sind, zu verwenden. Des Weiteren gehörten auch Themen wie das Entgiften und der Zusammenhang zwischen Darm und Immunsystem dazu. Bei dem Thema Vitaminmangel und Blutarmut konnte ich über jahrelanges Ausprobieren von unterschiedlichsten Nahrungsmitteln herausfinden, welches mir persönlich halfen. Bei chronischen Verstopfungen und Sodbrennen konnte ich mich ausgiebig in das Thema Ernährung reinlesen. So könnte ich noch lange weiter erzählen.

Am Ende hatte ich für jedes Thema eine Lösung. Beziehungsweise nicht nur eine Lösung, sondern ich verstand auch die Ursache und die Zusammenhänge. Das war mein Weg, mich selbst zu heilen und das Urvertrauen zum Leben wieder zurückzugewinnen. Raus aus dem Mangel und rein in die Selbstliebe. Heute weiss ich, dass die Magersucht eine Sehnsucht nach Autonomie und Kontrolle war. Die weiteren Essstörungen, die folgten, eine Sehnsucht nach Liebe.

Was mir persönlich geholfen hat, die Genesung meiner Essstörung zu erreichen und sie loszulassen 

  • Die wahren Ursachen zu erkennen 
  • Warum man feststeckt 
  • Akzeptanz, verzeihen, loslassen  
  • Aufhören sich selbst zu hassen und das innere Kind zu heilen 
  • Alte Glaubenssätze verabschieden und Gewohnheiten ablegen 
  • Trigger erkennen und meiden 
  • Raus aus der Opferrolle  
  • Selbstwert erkennen 
  • Selbstsorge lernen und Selbstliebe steigern  
  • Sucht offiziell loslassen und alte Muster ablegen  
  • Neue positive Verhaltensstrategien 
  • Macht der Gedanken verstehen (die eigenen Dämonen besiegen) 
  • Gesetz der Anziehungskraft  
  • Mentale Einstellung auf Genesung 
  • Essen ohne Reue 
  • Rückschläge akzeptieren 
  • Geistiges Wachstum – wer bin ich wirklich? 
  • Programmiere dich auf ein neues Bewusstsein 
  • Entwickle eine tiefe Aufmerksamkeit und Achtsamkeit 
  • Resilienz stärken  

Für mich persönlich war es sehr heilend zu verstehen, dass meine Glaubenssätze meine Programmiersprache meines Selbstwertgefühls waren und sind und ich diese in mein Erwachsenenleben übernommen habe. Ich musste verstehen, dass meine Prägungen ein Produkt meiner Erziehung waren und nicht ich selbst. Wenn ich mich auch heute immer wieder in dieser «Opferrollenhaltung» mit meinen Gedanken ertappe, versuche ich von der Feldperspektive in die Beobachterperspektive zu wechseln und hinterfrage mich, entspricht das der Realität.  
 
Das sind nur einige wenige Punkte, die ich gerne mit euch teilen möchte. Ich wünsche euch da draussen, dass auch ihr den Weg zurück ins Leben schafft. Denn, wenn man einmal versteht, wie das Leben funktioniert, ist es wunderschön. Ich fiel tausendmal um und stand immer wieder auf. Mein Weg kostete mich viel Zeit und Geduld, aber ich habe es geschafft. Heute weiss ich, dass man nicht alleine ist und Hilfe auch annehmen darf und soll.

Ich stehe euch jederzeit für Fragen und Anregungen zu Verfügung, denn für mich ist es als Coach ein Geschenk, die Menschen mit meinen Erfahrungen zu begleiten. Gleichzeitig liegen mir die Aufklärung der Öffentlichkeit über Essstörung sowie Prävention psychischer Krankheiten bei Menschen sehr am Herzen. Eine Essstörung ist genau wie eine Depression oder eine Suchterkrankung lediglich eine Strategie der Seele, das eigene Überleben in schwierigen Situationen zu sichern. Meiner Meinung nach sollte man Themen wie Glaubenssätze, Prägungen, Mental- und Resilienzarbeit als Schulfach einführen. Ich bin überzeugt, dass wir den Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen könnten. Wie denkt ihr darüber? 
 
Ich bin stolz und dankbar, dass ich den Weg in die Freiheit gefunden habe. Glücklich sein ist eine Entscheidung. Heute entscheide ich mich, glücklich zu sein. Das Leben ist ein Abenteuer: Lebe, fühle, liebe, lache, weine, spiele, gewinne, verliere, stolpere, doch stehe immer wieder auf und gehe weiter. Fall in love with taking care of yourself. Ich glaube an euch! 
 
Eure Tamara 


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