Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

Postnatale Depression: Interview mit einer betroffenen Mutter

Alle freuen sich auf das Baby, dass von Woche zu Woche im Bauch der werdenden Mutter heranwächst. Man schwebt auf einer rosaroten Wolke, bis zu dem Zeitpunkt der Geburt. Denn nicht immer können frisch erkorene Eltern Ihr Babyglück geniessen. Statt Mutterglück, fliessen unsagbar viele Tränen. Die Krankheit hat einen Namen – Postnatale Depression. Frau Andrea Borzatta, Co-Präsidentin vom Verein Postnatale Depression Schweiz und Selbstbetroffene erzählt uns in einem Interview über Ihre schwierige Zeit nach der Geburt.

Mutter und Tochter sitzen in der Natur, beide tragen pinke Jacken | © pixabay

A. Borzatta spricht über die Zeit, in der sie an einer Wochenbettdepression litt. (pixabay)

Für viele Frauen ist ein positiver Schwangerschaftstest eines der schönsten Erlebnisse im Leben. Der Gefühlsüberschwang auf das Wunschbaby ist gross. Babyzimmer einrichten und Wände streichen, mit der besten Freundin stundenlang durch die Kinderabteilungen schlendern und nach passenden Kleidchen suchen. Im Internet die neusten Modelle der Kinderwagen vergleichen. Die Vorfreude ist überwältigend und dann endlich kommt der Tag X, an dem die Wehen einsetzen. Doch was ist, wenn alles anders kommt als in den schönen Vorstellungen während der Schwangerschaft? Was, wenn die Geburt lang und anstrengend ist? Die wunderbare Kennenlernzeit mit dem Baby nicht der Realität entspricht? Was, wenn man als Elternteil traurig und voller Sorge ist?

Frau Borzatta, was war der Auslöser Ihrer Postnatalen Depression und wie hat sie sich bei Ihnen bemerkbar gemacht?

Ich weiss nicht, ob es einen eigentlichen Auslöser gab. Die Depression machte sich eher schleichend bemerkbar. Lange wusste ich nicht, was mit mir los war. Klar, ich hatte eine traumatische Geburt hinter mir, aufgrund einer schweren Schwangerschaftsvergiftung musste mein Kind frühzeitig auf die Welt geholt werden. Ich war anfangs von ihm getrennt, und doch waren wir schlussendlich beide gesund, ich hätte doch eigentlich positiv sein sollen und nach vorne blicken – so wie es mir alle rieten. Irgendwie gelang mir das aber nicht. Mein Alltag war geprägt von Ängsten und Sorgen um mein Kind und Selbstvorwürfen an mich, da ich in meinen Augen nichts richtig machte. Helfen konnte mir trotzdem niemand, denn ich liess niemanden an mich ran. Ich versuchte, eine intakte, perfekte Fassade aufzubauen, nach aussen hin stark zu wirken, aber innerlich war ich ein Wrack. Ich war nicht mal mehr in der Lage, ganz alltägliche Dinge wie Einkäufe oder die Wäsche zu erledigen. Ich hätte mich am liebsten einfach unter der Bettdecke verkrochen und niemanden gesehen. Alles an mir und meinem Umfeld widerte mich an. Aber wem sollte ich schon davon erzählen, jetzt da wir einen so wunderbaren Sohn hatten und der schlimme Start überwunden war?

Fast alle frischgebackenen Eltern sind mit einem Säugling in der Anfangszeit überfordert. Zu welchem Zeitpunkt sind Sie zur Kenntnis gekommen, dass Sie nicht einfach den wohlbekannten «Babyblues» durchmachen, sondern an einer PND leiden?

Lange empfand ich mich einfach als zu schwach. Ich sagte mir immer: «Das haben schon viele vor dir geschafft, also reiss dich zusammen.» Vom Baby Blues hatte ich gehört, allerdings wusste ich nicht, dass wenn diese Gefühle länger als zwei Wochen andauern, man von einer Depression spricht. Als ich dann das erste Mal nach rund 4 Monaten von einer Freundin von der Krankheit Postnatale Depression gehört hatte, war ich irgendwie erleichtert. Ich informierte mich im Internet, stiess auf den Verein Postnatale Depression. Endlich hatte ich einen Namen für meinen Zustand, vielleicht war ich doch nicht einfach unfähig, sondern krank?

Leider ist die Postnatale Depression auch in der heutigen Zeit ein Tabuthema. Wem haben Sie sich als Erstes anvertraut?

Bei jedem Treffen mit der Mütterberaterin weinte ich. Irgendwann besuchte sie mich zuhause und fragte mich, ob ich mir schon mal überlegt hätte, Antidepressiva zu nehmen. Ich fiel aus allen Wolken. Und doch war ich froh, dass jemand erkannte, dass ich Hilfe brauche, dass ich krank war und eine Therapie benötigte. Das Antidepressiva verschrieb mir meine Hausärztin, gleichzeitig begann ich eine Psychotherapie, und mit der Zeit ging es mir besser. Das Trauma und das Grundproblem meiner Krankheit hatte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht verarbeitet – das wurde mir aber erst nach der Geburt meines zweiten Kindes schmerzlich bewusst.

Wie hat Ihr nächstes Umfeld auf die Diagnose «Postnatale Depression» reagiert?

Anfangs war mein Umfeld überfordert, niemand verstand, warum ich denn nicht zufrieden sein, es einfach etwas entspannter nehmen konnte, erachteten mich vielleicht sogar als undankbar. Umso mehr versuchte ich, dem Bild der glücklichen Mutter zu entsprechen, meine Fassade aufrecht zu halten. Nach der zweiten Geburt war ich von Anfang an ehrlich. Wenn mich jemand fragte, wie es mir ging, heulte ich los. So war ich für mein Umfeld greifbarer und meine Krankheit sichtbarer. Auch damals waren noch einige überfordert, aber zumindest musste ich mich nicht mehr immer verstecken. Alle wussten, was mit mir los war und konnten selbst entscheiden, wie sie damit umgehen wollten.

Gesprächstherapie? Behandlung mit Psychopharmaka? Welche Therapie konnte Ihnen letztendlich helfen?

Schlussendich war es ein Mix aus vielen Ansätzen. Neben Medikamenten hat mir sicherlich auch die Psychotherapie geholfen. Insbesondere die Verhaltenstherapie, in der ich lernen musste, in gewissen Situationen bewusst anders zu reagieren und zu merken, dass dann gar nichts Schlimmes passiert. Diese Arbeit war anstrengend, aber hilfreich. Es war als ob in meinen Kopf gewisse Gedankenvorgänge fehlprogrammiert waren, die zu irrationalen Ängsten und Sorgen führten. Diese musste ich wieder umprogrammieren, meinem Hirn zeigen, dass es auch anders geht. Heute glaube ich, dass die Depression immer Teil von meinem Leben sein wird, aber dieses keineswegs mehr dominiert, im Gegenteil, mich sogar immer wieder daran erinnert, was wertvoll und wichtig ist im Leben.

Hatten Sie bedenken, dass Sie diese schwere Zeit nochmals durchleben müssen, als der Wunsch nach einem zweiten Kind näher rückte?

Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass es mir nicht nochmals passierte und freute mich auf die Babyzeit. Es war aber ein «Schönreden», denn eigentlich ging es mir noch nicht richtig gut. Erst nach dem zweiten Kind und dem Prozess, den ich dann durchmachte, kann ich heute sagen, dass ich gesund bin und die Zeit mit meinen Kindern bewusst geniessen kann.

Kind Nr.2 ist da! Wie haben Sie die Kennenlernzeit mit Ihrem zweiten Sohn erlebt?

Die ersten 7 Wochen waren wunderbar, ich konnte stillen, war entspannt, aber dann wollte der Kleine plötzlich nicht mehr trinken und es überrollte mich wie eine Lawine. Die ganzen Ängste und Sorgen vom ersten Mal überkamen mich ganz plötzlich. Ich wollte es dieses Mal besser machen und mich nicht wieder wegen dem Stillen verrückt machen. Ich stillte abrupt ab, was alles noch schlimmer machte. Selbstvorwürfe prägten meinen Alltag, der Kleine vertrug die Pulvermilch anfangs nicht. Mein Mann war in dieser Zeit der Einzige, der mir helfen konnte und auch «musste». Er übernahm die Nächte mit dem Kleinen, da ich nur dank starker Medikamente überhaupt schlafen konnte. Nach 7 Monaten wusste ich, dass ich am Ende meiner Kräfte war – wenn es einen Knopf gegeben hätte, der mein Leben einfach so ausgelöscht hätte, gäbe es mich heute wohl nicht mehr. Ich wusste, dass ich jetzt sofort etwas ändern musste. Ich verbrachte 7 Wochen in einer psychiatrischen Klinik.

Die Dauer einer Postnatalen Depression ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wie lange hat bei Ihnen die PND angehalten?

Nach der ersten Geburt fühlte ich mich etwa 1.5 Jahre danach besser, aber so richtig gesund würde ich mich erst jetzt bezeichnen und das seit etwa 2 Jahren nach der Geburt meines zweiten Sohnes.

Welche Gefühle übermannen Sie, wenn Sie an die Zeiten nach den Geburten Ihrer Söhne nachdenken

Zum einen bin ich traurig, dass ich keine schönen Erinnerungen an diese Zeit habe. Es gibt keinen Moment, an den ich mich erinnere, in dem ich mit meinem Baby einfach unbeschwert und glücklich war. Auf der anderen Seite bin ich auch froh, dass ich viele Themen angehen musste und viel über mich selbst gelernt habe, was ich sonst wohl nie hätte. Ich stehe heute an einem anderen Punkt im Leben, bin gefestigter, kenne mich besser und schätze umso mehr was ich habe.

Hat Sie und Ihre Familie diese schwierige Zeit stärker gemacht?

Mein Mann war mir eine grosse Stütze, er hat immer zu mir gestanden, obwohl auch er oft an seine Grenzen kam. Heute sind wir beide der Meinung, dass wir nach all dem, was wir gemeinsam geschafft haben, als Paar gestärkt in die Zukunft blicken können. Aber ich beschönige die Situation nicht, die Zeit hat sicherlich Wunden hinterlassen und diese gilt es wohl ein Leben lang im Auge zu behalten und ihnen mit viel Liebe und Akzeptanz zu begegnen. Ich hoffe, eine Paartherapie wird uns auf diesem Weg in die Zukunft noch unterstützen.

Was möchten Sie den Mamis und Papis, die an einer PND erkranken ans Herz legen?

Das Wichtigste ist in meinen Augen, dass sich niemand für diese Krankheit schämen soll. Das ist einfacher gesagt als getan – ich weiss. Aber meine Erfahrung hat gezeigt, dass man mit Offenheit meist auf viel Verständnis und Hilfsbereitschaft stösst. Natürlich sind gewisse Menschen auch überfordert, aber auch das darf man ihnen nicht verübeln. Schliesslich herrscht in unserer Gesellschaft noch immer ein grosses Tabu rund um psychische Krankheiten und insbesondere solche, welche nach einem eigentlich so freudigen Ereignis wie einer Geburt auftreten. Indem wir über unsere Gefühle, Ängste und Sorgen sprechen, geben wir unserem Umfeld eine Möglichkeit zu helfen und zu verstehen – nämlich, dass die Postnatale Depression eine Krankheit ist, die jeden treffen kann, für die sich niemand schämen muss und die geheilt werden kann. Der erste Schritt hierzu ist aber, dass betroffene Frauen darüber sprechen, auch wenn das zu Beginn oft schwierig ist.


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler gefunden? Jetzt melden.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?