Asperger und die Liebe

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Liebe Community,

auch wenn es schon einige Diskussionen zu diesem Thema gibt, habe ich doch noch einige Fragen.

Bei meinem Mann wurde kürzlich die Diagnose eines Asperger-Syndroms gestellt. Wir sind schon seit 7 Jahren zusammen und früher nahm ich immer an, dass er eben einfach sehr introvertiert und zwischenmenschlich unbeholfen, eben ein klassischer Informatiker, ist. Erst mit Eintritt in das Berufsleben haben seine Eigenheiten Krankheitswert bekommen - nicht mehr die freie Zeiteinteilung wie im Studium, unruhiges Arbeitsumfeld und viel zu viele soziale Kontakte, dadurch ständige Erschöpfung und gedrückte Stimmung. Somit kam es schließlich zum Facharztkontakt, wo die Verdachtsdiagnose gestellt wurde, welche sich nun bestätigt hat.

Für uns bzw. auch für mich ändert die Diagnose schon einiges, vor allem was Verständnis und Rücksichtnahme angeht.
Unsere Beziehung ist eigentlich sehr glücklich und stabil, aber es gab immer wieder schwierige Phasen und teilweise große Streits, unter anderem wenn ich unzufrieden war durch gewisse Einschränkungen, die durch seine Bedürfnisse entstehen... wenn wir also eine Party wieder mal recht zeitig verlassen oder wenn er wie immer genervt ist, wenn wir meine Familie besuchen (weil es dort immer quirlig ist und viel geredet wird) bzw. sie sich wundern, dass er dann ganz still und abweisend ist, je mehr alle durcheinander reden.
Früher haben mich solche Momente sehr frustriert und ich war teilweise sehr sauer und habe es ihm (unabsichtlich) wohl auch nicht leicht gemacht. Jetzt weiß ich immerhin, woher das kommt, dass er nicht einfach "keinen Bock" hat und sich nicht einfach mal so zusammenreißen kann.

Hinzu kommt, dass ich selbst auch nicht gerade unkompliziert bin... ich bin sehr emotional, aber auch sehr einfühlsam, schwinge (und schwanke) oft stark in alle Richtungen und bin leicht aus der Reserve zu locken bzw. sehe vieles schnell zu dramatisch, bin teilweise recht chaotisch und ungeordnet, aber eben auch kreativ und kommunikativ. Klingt erstmal nicht gerade nach einer idealen Aspi-Partnerin... Aber irgendwie haben wir, so gegensätzlich wir sind, unseren Rhythmus gefunden und gleichen gegenseitig ein wenig unsere Defizite aus.
Ich brauche auch viel Liebe und Zuneigung und habe recht früh (auch ohne die Diagnose zu kennen) gelernt, dass er diese auf sehr subtile, wundervolle Art und Weise zeigt... und er hat wohl recht fix erkannt, dass es mir gut tut, wenn er auch mal für ihn offensichtliche Dinge sagt (also zB auch mal ein Kompliment zu machen statt sich still zu freuen und nur dann was zu sagen, wenn ihn etwas stört). Anfangs war ich verletzt und habe mich zurückgewiesen gefühlt, wenn er viel Freiraum wollte, aber das ist schon lange her... unsere Wohnung ist schon lange so gestaltet, dass jeder seinen eigenen Rückzugsort hat und wir genießen die eigene Me-Time genauso wie gemeinsame Zeit.

Meine Frage an euch ist, was ich (obwohl ich eben bin, wie ich bin) machen kann, um ihn noch mehr zu unterstützen und wie wir besser Kompromisse finden können, mit denen sich beide wohl fühlen. Und wie ich damit umgehe, dass es eben auch für mich gewisse Einschränkungen gibt (wie, die Dauer der Familienbesuche zu verkürzen und dabei deren Enttäuschung oder gar Vorwürfe auszuhalten)...

Danke und liebe Grüße,
Liv

Antworten

  • Hallo Liv,
    ich fasse mich kurz.
    Du bist wie du bist, lass ihn sein wie er ist. Das dürfte die wenigsten Probleme geben.
    Gruß
    Rudi
  • Liebe Liv,

    du hast einen tollen Text geschrieben - da bin ich ganz begeistert bei den zahlreichen Fünf-Wort-Fragen, die hier eingestellt werden, bei denen man rätseln muss, was überhaupt gefragt wird und auf die ich gar nicht erst reagiere.

    Wenn bei deinem Mann der Asperger-Autismus erst im Erwachsenenalter festgestellt wurde, hat er sicher schon den einen oder anderen Stolperstein bewältigt. Nun, mit der Diagnose, wisst ihr wenigstens den Grund für seine Besonderheiten.

    Ich finde es toll, dass ihr so prima miteinander klar kommt, sowohl emotional als auch ganz praktisch durch die jeweiligen Rückzugsorte und -Zeiten.

    Es muss gar nicht sein, dass du als sehr emotionaler Mensch nicht der geeignete Partner für einen Aspie sein sollst - du siehst ja, dass es klappen kann, wenn jeder auf den anderen zugeht und die Besonderheiten des anderen kennt.
    Außerdem wird man flexibler, wenn der Partner nicht genauso tickt wie man selbst - zwei permanente Quasselstrippen wären unerträglich und zwei Eigenbrötler recht trist.

    Du fragst nach praktischen Tipps.
    Ich hab ein paar parat - die sind aber nicht allgemeingültig und sollen nur Vorschläge sein.

    Erst einmal würde ich den Autismus ganz selbstverständlich auch nach außen hin vertreten.
    Zum Beispiel könnte es am Arbeitsplatz hilfreich sein, einen eigenen Bereich zu bekommen, wo es nicht so laut und wuselig ist.
    Oder er könnte (zumindest an ein oder zwei oder drei?) Tagen Heimarbeit bekommen.

    Privat gäbe es ganz viele Varianten.
    Auch hier würde ich die liebe Familie in die Geheimnisse des Asperger-Autismus einweihen. Es gibt sehr viele informative Broschüren und wenn du es gerne leicht und witzig magst, empfehle ich den "Schattenspringer" (Teil 1) von Daniela Schreiter - da geht es zwar um eine Frau, aber es ist ein Comic und wirklich jeder in meiner Familie hat ihn gerne gelesen.
    ;o)
    Mit diesem Basis-Wissen kann man dann die Familie ja ins Boot holen und auf Verständnis - oder wenigstens schweigende Akzeptanz - hoffen.

    Ich weiß nicht, wie weit du und deine Familie auseinander wohnt, aber könntest du dir zum Beispiel vorstellen, dass du besonders fetzige und große (laute) Festivitäten der Familie alleine besuchst? Dein Aspie-Partner könnte dann daheim relaxen und du könntest so lange bleiben, wie du magst.
    Eine andere Variante wäre, dass am Ort der Festivität ein ruhiger Raum (Schlafzimmer oder Büro der Eltern - möglichst mit Internetzugang!^^) zur Verfügung steht, wo dein Partner sich nach ein, zwei Stunden (mit Laptop) zurückziehen und erholen kann. Auch diese Variante würde ich der Familie ganz klar mit dem Asperger-Autismus erklären ("X kann nicht so lange in so lauter Umgebung bleiben, da kriegt er Kopfweh..." - bzw. er selbst "ich muss mal ein bisschen relaxen, ihr wisst ja, wenn so viele Leute um mich herum sind, werd ich noch ganz wuschig...").

    Im Prinzip ist es umso leichter, je offener und entspannter man damit umgeht.
    Und dass die Familie informiert ist - beim Autismus wie bei einer Allergie, Diabetes oder einer anderen Besonderheit.

    Lasst euch nicht unterkriegen, bleibt einander zugewandt und findet kreative und individuelle Lösungen!
  • Dankeschön für die Antwort - das ist sehr hilfreich! Vor allem kommt mir vieles, was du schreibst, sehr vertraut vor (kein Familienbesuch ohne Laptop 😉 ). Das Buch haben wir auch schon zuhause liegen. Obwohl es sich eher an Kinder richtet, ist es auf jeden Fall gut zu lesen.
    Auf Arbeit hat er den ruhigsten Platz in der hintersten Ecke bekommen, da er darum schon im Vorstellungsgespräch gebeten hat. Ein weiterer, kleinerer Raum ist ggf. in Planung -dann könnte er auch dorthin umziehen. Homeoffice geht leider nicht, aber auf lange Sicht ist sicher eine Reduktion der Stunden möglich.
    Mein erster Impuls war es auch, offen mit der Diagnose umzugehen. Mein Mann sieht das etwas kritisch. Bis auf ein, zwei enge Freunde (die das sehr entspannt und wenig überrascht aufgenommen haben) weiß es noch niemand. Einerseits ist bei ihm, glaube ich, die Sorge, inwieweit die anderen Verständnis dafür haben. Andererseits auch ein wenig Trotz... im Sinne von "ich muss mich nicht mit einer Diagnose rechtfertigen, damit die anderen mich so akzeptieren, wie ich bin". Damit hat er natürlich recht. Trotzdem denke ich, dass es für alle hilfreich wäre, zu wissen, woran sie sind. (Und dass er keineswegs mit ihnen ein Problem hat, sondern nur mit dem Setting.)
    Na mal sehen, das werden wir wohl nochmal gemeinsam besprechen. (Zum Glück reden wir sehr viel und tiefgründig über alles, was uns beschäftigt... das hilft uns, denke ich, beiden sehr.)
    Ansonsten heißt es wohl, den Sozialkater akzeptieren, wenn er gerade da ist, und viel Freiräume (bzw: Zeit für sich und füreinander) schaffen.

    Rudi, das kam wohl falsch rüber - natürlich soll er sein, wie er ist. Ich will ihn keineswegs ändern. So, wie er ist, ist er genau der Mann, den ich liebe. 😀 Mir geht es eher darum, uns den Alltag zu erleichtern, da es eben schwieriger ist, wenn beide in Vollzeit arbeiten. Das war wesentlich unkomplizierter, als wir beide noch studiert haben (mal davon abgesehen, dass wir damals von der Diagnose noch nichts wussten). Aber jetzt bringt der Alltag eben neue Herausforderungen mit sich.

    Danke euch beiden und habt einen schönen Abend!

  • Was wars am Ende eigentlich?
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